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Exclusiv - Geschichten - alt und neu - aus Hachenburg und von Hachenburgern
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"Der Löwe erzählt" von Dr. Jürgen Hardeck (*1958 in Hachenburg)

Die Geschichte Hachenburgs

Teil 1: Mittelalter (30. Juni 1993)

Auf meinem Platz, dem Brunnen auf dem alten Markt, spitze ich manchmal die Ohren, wenn unsere Stadtführer Wilhelm Litzinger und Erich Lang mit Gruppen vorbeikommen und erzählen. Ich habe den Eindruck, viele Gäste wissen anschließend mehr über die wechselvolle Geschichte unserer kleinen Stadt als so mancher Hachenburger. Erfahren eigentlich die Kinder eigentlich in den Schulen noch etwas davon?

Nun, es gibt ja Bücher, in denen man sich informieren kann, aber ich gebe zu, die Lektüre ist manchmal ein wenig anstrengend und trocken. Und heute hat ja kaum einer noch Zeit! Ich habe noch Zeit. Ich steh ja nur hier rum und blinzle in die Sonne. Deshalb, wenn Sie mir ein paar Minuten Aufmerksamkeit schenken, erzähle ich Ihnen heute mal was von der Gründung von Hachenburg und von den ersten Jahrhunderten - dem sogenannten Mittelalter.

Hachenburg verdankt seine Entstehung der Kreuzung zweier bereits im Mittelalter bedeutender Handelswege: der in Ost-West-Richtung verlaufenden Köln-Leipziger-Straße und dem „Eisenweg“, der zwischen Siegerland und Frankfurt am Main in Nord-Süd-Richtung verlief. Um 1180 nach Chr. wurde vom Grafen Heinrich II. von Sayn zum Schutz der Händler jene Hagen-Burg (Hagen: Dornen), d.h. jene von Dornengestrüpp umsäumte Festung, auf der 390 Meter über dem Meer liegenden Basaltkuppe errichtet, die wohl schon früher Hagenberg genannt wurde. Beendet wurde der Bau erst 1212 unter Heinrich III., dem Sohn des Gründers. Unter ihm erfolgte auch der Bau des Zisterzienserklosters Marienstatt, unten im Tal der Nister, das im späten Mittelalter Anziehungspunkt für unzählige Pilger werden sollte.

Schon 1222 war der Marktflecken, der sich unterhalb der Burg gebildet hatte - das Wort Bürger kommt ja von „in oder bei einer Burg wohnend“! - Mittelpunkt einer Vogtei. In Dokumenten von 1247 wird Hachenburg als „oppidum“ und 1253 als „civitas“ bezeichnet. Das bedeutet, dass es damals schon als eine Stadt angesehen wurde. Um die tausend Menschen sollen zu der Zeit hier gelebt haben. Das Stadtsiegel von 1292 zeigt ein Stadttor, also war diese bereits durch eine Mauer mit Wehranlagen befestigt.

Jene Stadtmauer mit Toren und Türmen wurde zwischen 1820 und 1830 bis auf geringe Reste niedergelegt, ihr Verlauf ist jedoch in groben Zügen in den Ringstraßen um den Stadtkern herum (Johann-August-Ring und Alexander-Ring) noch gut zu erkennen. In der Niederpforte, dem heutigen „Gasthaus zum Schwan“, befand sich der Kerker, ein Stück seiner alten Mauer ist in der Schwanenpassage zu besichtigen. Am Higham-Ferrers-Platz, gleich neben der englischen Telefonzelle, ist ein Eckstück der Oberpforte erhalten und neben dem Parkhaus in Richtung Burggarten, der im ersten Viertel des 13. Jh. unter Graf Gerhard I. (1281-1324) angelegt wurde, ein großes Stück davon.

Die St. Bartholomäuskirche, erstmals erwähnt schon 1131 in der älteren Ansiedlung mit Namen Altstadt, im Tal des Rothbachs, befand sich im Mittelalter und darüber hinaus, genau gesagt bis 1656, die Pfarrkirche der Stadt, der die im 14. Jh. erbaute Katharinenkapelle am Marktplatz bei der Burg untergeordnet war. Apropos Markt: Die Verkehrslage begünstigte die Entwicklung der Märkte in der Stadt. Der St. Bartholomäusmarkt am 24. August (heute: Altstädter Kirmes) und der St. Katharinenmarkt am 29. November (heute am 1. Samstag im November) waren damals die beiden bedeutendsten Jahr-Märkte. Die Hachenburger Kirmes wird ja zu Maria Himmelfahrt am 2. Augustwochenende gefeiert! Diese Kirche gab es aber damals noch gar nicht.

Aber es gab schon einen Wochenmarkt, denn Kaufleute, Krämer und Handwerker zogen nicht nur durch, sondern waren auch zahlreich ansässig in der Stadt. Es gab Wollweber, Färber, Lohgerber, Schmiede und Schlosser, Bauhandwerker, Bäcker, Metzger, Tuch- und Weinhändler. 1343 schlossen sich die Weber als erste in der Stadt zu einer Zunft zusammen, die „Hachenburger Dicher“ (Tuche) waren auf den Messen in Köln und Frankfurt wohlbekannt. Die Straßen in der „Hinnergass“ (wie die Webergasse, die Färberstraße) erinnern noch heute an die dort ansässigen Zünfte, die aber 1810 aufgelöst wurden.

Damals wurde viel Schnaps gebrannt! Bier wurde natürlich auch gebraut, aber während des gesamten Mittelalters war der Weinhandel in Hachenburg viel bedeutender und der Weinverbrauch viel höher als der des Bieres! Erstaunlich, nicht wahr? Vor allem, wenn man weiß, dass es bis vor wenigen Jahren nicht leicht war, in einer einheimischen Gastronomie einen ordentlichen Wein zu bekommen.

1255 wird ein Schultheiß erwähnt. Als Beamter (villicus) des Landesherren – also der Grafen von Sayn - hatte er die Aufgabe, seinen Fronhofsverband (villicatio) zur Einhaltung ihrer Abgabe- und Dienstverpflichtungen gegenüber dem Landesherren anzuhalten. Sie merken, die Amtssprache damals war das Lateinische! In einem Dokument von 1343 hören wir erstmals von einem „Gericht von der Hohen Pforte“, das alle Käufe und Verkäufe zu bestätigen hatte.

Auch eine Schule gab es wohl zu dieser Zeit schon in der Stadt, ebenso eine Badestube. Die Bader und Barbiere übten auch die Heilpflege aus - einen Medicus (Arzt) konnte sich im Mittelalter kaum jemand leisten, und selten waren sie auch.

König Ludwig, der Bayer (ab 1327 Deutscher Kaiser, übrigens einer der letzten guten), gab Hachenburg gleich im ersten Jahr seiner Regentschaft das Stadtrecht – und weilte auch zweimal höchstpersönlich in unserer Stadt: Ende Januar 1324 und am 5. Juli 1326. Die damaligen Grafen Gerhard I. und dann auch sein Nachfolger Gottfried von Sayn gehörten nämlich zu seinen treuesten Anhängern. Ansonsten ist nur ein prominenter Sohn der Stadt von damals heute noch namentlich bekannt. Und ob der wirklich hier lebte, ist sogar eher unwahrscheinlich. Ich spreche von Meister Tilmann von Hachenburg, einem rheinischen Glockengießer des 15. Jahrhunderts.

1441 gab es dann einen Bürgermeister, eine eigene Münzwährung und eine neue Bürgerordnung trat in Kraft, die den anbrechenden neuen Zeiten Rechnung trug. Es wurde ein erstes Rathaus gebaut. Das war damals ganz neu, dass die Bürger eine Selbstverwaltung bekamen. Städte im Mittelalter waren meistens nicht sehr groß, Mainz als Bischofs- bzw. Kurfürstensitz hatte damals gerade mal sechstausend Einwohner. Als Hachenburg 1496 auch noch eine eigene Gerichtsbarkeit erhielt (bis dahin war immer im Namen des Lehnsherren Recht gesprochen worden), lebten immerhin schon über tausend Personen in der Stadt.

In den unruhigen und fehdereichen Zeiten des 14. und 15. Jahrhunderts mussten die Bürger sich notfalls selbst schützen können und Wachdienste an bzw. auf der Stadtmauer schieben. Aus dieser Bürgerwehr entstand die 1489 erstmals erwähnte St. Sebastian Schützenbruderschaft, die als einziger Verein des Mittelalters heute noch existiert.

Am Ende des 15. Jh. verlegte Graf Gerhard II (1452-1493) die Residenz der Grafschaft Sayn, die bislang in Bendorf am Rhein gewesen war, nach Hachenburg und ließ das „Steinerne Haus“ (Hotel „Zur Krone“) erbauen. Auf dessen Dachfirst weist ein „Mohrenkopf“ es als Gästehaus aus. Ein Brauch, der wohl durch die Kreuzzüge in Mode gekommen war. Das Erkerzimmer der „Krone“ wird heute noch das „Femestübchen“ genannt, denn dort soll einst das Femegericht getagt haben. Nun, da hatte Kolumbus Amerika bereits entdeckt und das Mittelalter ging zu Ende.

Eine Geisel des Mittelalters waren Brände, derer man damals nicht Herr wurde. Schon 1400 und 1439 hatten große Feuer die Innenstadt verwüstet. Nur das „Steinerne Haus“ überlebte die großen Feuersbrünste von 1484, 1541, 1594, 1654 und 1676. Der Brand von 1654 zerstörte sogar die alte Burg, an deren Stelle 1717 das heutige Barockschloss entstand. Erst nach dem Brand von 1439 wurde der Alte Markt in seiner heute noch bestehenden Größe und Form angelegt. Eine weitere Geisel waren Seuchen wie die Pest.

Das „große Sterben“, wie man damals sagte, wütete 1463, 1469 und 1530 – und noch mehrfach bis ins 17. Jh. in der kleinen Stadt, die, wie man es heute noch in den Haingärten sehen kann, von einem Kranz von Gärten umgeben war, an die sich Viehweiden und zu Fischteichen aufgestaute Bäche anschlossen. (Die verheerendste Pest-Epedemie wütete übrigens erst 1636, am Ende des 30. Jährigen Krieges. Weit über die Hälfte aller damals in der Stadt lebenden Menschen kamen durch sie um.)

Aber ich sehe, Sie werden unruhig. Das war aber auch schon ganz schön viel für einmal. Beim nächsten Mal – wenn Sie Lust haben?! – erzähl ich Ihnen etwas über die Reformationszeit und die Geschichte, wie ich zu meinem geteilten Schwanz kam - und von dem schrecklichen „großen“ Krieg, dem dreißigjährigen! Harte Zeiten für unsere kleine Stadt! Ach, noch was! Wenn Sie über den Markt latschen, wäre es nett, wenn Sie mal zurückgrüßen würden. Ich hebe immer die Tatze zum Gruß!


Teil 2: Von der Reformation bis zum 19. Jahrhundert (20. Oktober 1993)

Ach, da sind Sie ja wieder. Wie geht´s?! Mir? Danke gut. Ein bisschen kühl sind die Nächte mittlerweile wieder. Ja, stimmt, am Wochenende [Löwenfest] werde ich mal wieder gefeiert, quasi mein Geburtstagsfest. Was? Na ja, ein wenig schmeichelt mir das schon.

Was hatte ich Ihnen versprochen? Ach so, klar, die Geschichte von Hachenburg wollte ich Ihnen weitererzählen. Wo war ich stehen geblieben? Ich glaube, im 16. Jahrhundert. Was war da noch Besonderes, außer dass alle paar Jahrzehnte mal wieder eine Seuche die Menschen heimsuchte und mehrfach die halbe Stadt brannte?

Ja, die Reformationszeit! Die brach hier erst 1560 an, denn die Sayner waren zunächst katholisch geblieben. Aber der Graf Adolf, der mit einer Protestantin verheiratet war, der führte dann, wie gesagt 1560, die Luthersche Lehre in Hachenburg ein. Damals galt ja für die Untertanen: Cuius regio, eius religio (wessen Gebiet, dessen Religion), das heißt der jeweilige Herrscher bestimmte, welcher Konfession die Untertanen anzugehören hatten.

Graf Adolfs Nichte heiratete dann einen Grafen von Sayn-Wittgenstein - ja, dafür steht mein zweigeteilter Schwanz: für das Haus Sayn und das Haus Wittgenstein und ihre Verbindung - und dieser Graf von Sayn-Wittgenstein brachte die calvinistische Richtung des Protestantismus mit. Oh, das waren strenge Ansichten! Zwischendrin – im dreißigjährigen Krieg – wurde Hachenburg noch mal katholisch, aber dann, mit schwedischer Hilfe, ein Jahr nach dem Westfälischen Frieden 1648, lutherisch.

Durch die Trennung der Stadtkirche von der Altstädter Kirche durch Graf Salentin Ernst von Manderscheid (der kam also aus der Eifel!) - übrigens gegen den Widerstand der Bevölkerung! - kam es 1959 zur Trennung von Altstadt und Hachenburg, die erst 1969, nun wieder per Dekret, überwunden wurde. Man hätte beim Thema „Wiedervereinigung“ nur die Altstädter und Hachenburger fragen müssen, um realistisch einschätzen zu können, wie lange das dauert, bis man sich nach langen Trennungen wieder an „Einheit“ gewöhnt.

Die ganzen Erbteilungen und Familiengeschichten der regierenden Fürsten und ihrer Familien waren ein Kuddelmuddel. Ich erzähl ´s gar nicht, sie könnten es sich sowieso nicht merken. Jedenfalls wurden die bürgerlichen Freiheiten, die auch die Hachenburger Bürger im ausgehenden Mittelalter gewonnen hatten, ihnen nach dem dreißigjährigen Krieg von den Fürsten wieder entzogen. Jeder kleine Fürst regierte nun „absolutistisch“, wie der französische König. (Wer glaubt da noch, früher sei alles besser gewesen?!)

Noch im 18. Jh. gab es mehrfach gefährliche Seuchen. Graf Salentin Ernst hatte ein Krankenhaus einrichten lassen und verbesserte die hygienischen Zustände, Burggräfin Wilhelmine Sybille von Kirchberg richtete ein Waisenhaus ein. Richtig schlimm war aber die Armut, die damals über große Teile des Westerwalds hereinbrach. Bis dahin war es den meisten Leuten verhältnismäßig gut gegangen – obwohl keine von uns damals hätte leben wollen!

Aber die dauernden Kriegszüge, Seuchen, Feuer und Missernten! Und das Klima war damals auch schon mal „von der Rolle“! Die sogenannte „kleine Eiszeit“ brachte von 1570 bis 1630 und von 1675 bis 1715 besonders kalte Zeitabschnitte. Für den dreißigjährigen Krieg sind 31 Truppen-Einquartierungen für Hachenburg belegt. Die haben alles kahlgefressen! 1633 hat der Stadtschreiber und spätere Bürgermeister Johann Heinrich Helt die erste Stadtchronik begonnen, die 1706 von einem anderen Stadtschreiber beendet wurde. Dort ist das festgehalten.

Die verdammten Kriege! Nach dem „Dreißigjährigen“ kamen die „Reichskriege“ gegen Frankreich (1673-79), der „Pfälzische“ (1689 und der „Polnische Erbfolgekrieg“ (1734), der „2. Schlesische“ (1744/45) und dann der „Siebenjährige Krieg“ (1756-1763). Und immer traf es auch den Westerwald! Das gab der Region erst mal den Rest. Danach konnten die Menschen mal ca. dreißig Jahre lang ein wenig aufatmen, bis dann in den beiden so genannten Koalitionskriegen (1792-1797 und 1799-1802) mal die Franzosen und mal die Österreicher bzw. ihre Verbündeten hier waren, rekrutierten und Schlimmeres taten. Und dazu noch die konfessionellen Konflikte! Die Katholiken, aber vor allem die Reformierten (Calvinisten) und die Lutheraner hatten miteinander dauernd Streit. Albertine von Grün, die im Beustschen Haus, gleich hier vorn um die Ecke in der Herrnstraße, lebte, klagte sehr darüber.

Während das „Räuberhandwerk“ im armen 17. und 18. Jh. blühte, ging der Hexenwahn in der zweiten Hälfte des 18. Jh. endlich zu Ende. Hier auf dem Alten Markt wurde 1766 mit dem Schwert die letzte Hinrichtung an einer Mörderin aus Marzhausen vollstreckt. Es heißt, fast die gesamte Einwohnerschaft der Kroppacher Schweiz sei unter den Schaulustigen gewesen. Ja, so etwas war damals eine Art Volksfest! (Fast so schön, wie heute ein Unfall auf der Autobahn!)

Aber ich muss gerade noch mal über hundert Jahre zurück.

Als bei einem der großen Stadtbrände am 13. Oktober 1654 neben großen Teilen der Innenstadt auch die Burg niederbrannte, verlor die Stadt für einige Jahrzehnte ihr Wahrzeichen. Bis über 60 Jahre später das barocke Schloss gebaut wurde, das seitdem Hachenburg schon von weitem sichtbar krönt. Graf Salentin von Manderscheid und Graf Georg Friedrich von Sayn-Hachenburg bauten Stadt und Burg (nun aber als Barock-Schloss) wieder auf. Die Innenstadt hat noch heute die von ihnen angeordnete Gestalt. Die meisten der schönen Fachwerkhäuser der Friedrichstraße, der Herrnstraße, des Alten Marktes, der Perlgasse, der Mittelstraße, der Judengasse und der Wilhelmstraße stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

Das Hachenburger Schloß ist ganz schön groß. Haben Sie sich eigentlich schon mal gefragt, wieso? Es war nicht nur die Residenz der regierenden Fürsten, sondern auch das Verwaltungszentrum der gesamten Grafschaft, mit Wohnräumen, Arbeitsräumen und Stallungen für Pferde und Kutschen. Die Grafschaft reichte ja ca. 20 Kilometer hinter Altenkirchen im Westen an Kurköln und im Norden bis Hamm und bis weit hinter Freusburg.

Zuerst wurde - während der Regierungszeit des zweiten der insgesamt vier Kirchberger Grafen, die 1675 die Grafschaft geerbt hatten - auf den Mauerresten der alten Burg das Oberschloss errichtet. Das war zwischen 1715 und 1721. Der Architekt hieß Johann Julius Rothweil. Er hatte schon das Weilburger Schloss geplant. Man musste sparsam sein, überflüssigen Luxus konnte man sich damals kaum leisten. Erst zwanzig Jahre später, bis 1746, entstand in einen zweiten Bauabschnitt das Unterschloss nach Rothweils Plänen.

Viele Leute haben schon vergessen (und die Jüngeren wissen es nicht mehr), dass erst die Bundesbank einen weiteren Schlossflügel (parallel zur Oberen Friedrichstrasse beim „Gasthaus zur Sonne“) anbauen ließ und dass da, wo heute die Parkplätze sind, früher mal eine ganze Häuserzeile gestanden hat.

Das weitläufige Barockschloss hat im 20. Jahrhundert mehrmals den Besitzer gewechselt, war Sitz des Gerichts und beherbergte Wohnungen und das Heimatmuseum. Kurzzeitig war da auch mal ein Hotel und es gab Eigentumswohnungen. (Selbst der Reinhard Mey war mal hier und hat sich für eine interessiert. Ich hab ihn gesehen!) Daher kommt auch der seltsame Anbau, in dem oben der Vortragssaal und unten die Kantine ist. Das sollte nämlich das Schwimmbad vom Hotel werden! Aber das ging alles schief – Pleite und so - und man musste sich ernsthafte Sorgen machen. Man wollte das Schloss sogar schon abreißen, weil sein Unterhalt zu teuer für die Stadt geworden wäre! Wie würde Hachenburg dann heute aussehen!

Seit einigen Jahrzehnten ist es nun aber Sitz der Ausbildungsstätte und Fachhochschule der Deutschen Bundesbank, die es mit viel Geld gerettet haben. Das haben wir nicht zuletzt Dr. Emde zu verdanken, weshalb man ihn zu Recht zum Ehrenbürger der Stadt gemacht hat.

Hachenburg hieß damals übrigens „die Gartenstadt des Westerwaldes“, denn auf welcher Seite man auch die Stadtmauern verließ, man kam in die Haingärten oder den Burggarten oder die Nistergärten usw. (Da könnte man sich auch noch mal dran erinnern und etwas in diese Richtung unternehmen, gell?)

1799 war es mit dem Residenz-Sein vorbei, wieder mal durch eine Heirat. Hachenburg kam zu Nassau-Weilburg und durfte sich nur noch „Amtssitz“ nennen. Da wurde es langsam immer stiller in der kleinen Stadt. Doch davon kann ich Ihnen ja ein anderes Mal erzählen. Also, bis bald!


Teil 3: 19. und 20. Jahrhundert (6. Dezember 1993)

Hallo, könnte mir bitte mal jemand den Schnee aus den Augen wischen?! Ach, Sie sind es! Schön Sie wiederzusehen. Nein, das bisschen Schnee macht mir nichts. Früher, da gab es noch Schnee in rauhen Mengen, da blieb selbst mir manchmal die Luft weg. Das waren noch Winter! Die waren aber gar nicht komisch für die Leute, sondern sehr hart.

Besonders im 19. Jahrhundert. Da sprach man vom „Land der armen Leute“, wenn der Westerwald gemeint war. Ich glaub, ich sagte beim letzten Mal schon, dass mit dem dreißigjährigen Krieg eine lange Zeit einsetzte, die von dauernden Kriegsschäden, Seuchen und Missernten geprägt wurde, was es den Menschen verdammt schwer machte, durchzuhalten.

Die Missernten von 1847 und 1848 bedrohten nun aber die nackte Existenz der Westerwälder! Kein Wunder, dass so manche nach Amerika gegangen sind. Luckenbach, Texas. Haben Sie den Country-Song schon mal gehört? Da, im Hill Country, wohnen so manche Nachfahren von Leuten aus unserem Luckenbach und überhaupt hier aus der Gegend.

Es war Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Sohn des damaligen Landbürgermeisters von Hamm an der Sieg – ein Mann von dem ich nur mit höchstem Respekt sprechen kann! - der damals auf die Idee kam, der Not genossenschaftlich entgegenzutreten. Das hat viel bewirkt. Denn erst um 1880 brach mit dem Ausbau von Straßen und Eisenbahnstrecken wieder eine bessere Zeit an.

Die Idee der genossenschaftlichen Selbsthilfe hatte Raiffeisen bereits zu seiner Zeit als Amtsbürgermeister in Weyerbusch verwirklicht, wo er während der Hungersnot 1846 Brot für die Armen backen ließ und 1847 einen Brotverein gründete. Schon kurz nach seinem Amtsantritt hatte er eine Schule erbauen lassen, zwei weitere Schulen in Nachbarorten folgten. Dann betrieb er- zur besseren Erschließung der Region - den Bau einer Straße von Hamm durch den Westerwald bis zum Rhein. Sie wurde ihm zu Ehren vor ein paar Jahren „Historische Raiffeisenstraße“ genannt.

Und es ist ihm noch vieles mehr zu verdanken: der Bau der Westerwald(eisen)bahn. Und der Beginn der Aufforstung der Wälder. Der Westerwald war damals nämlich so abgeholzt, dass man zu Recht sang „Über deine Höhen weht der Wind so kalt“! Heute ist das Klima wieder viel milder und die Bodenerosion gestoppt.

In Flammersfeld gründete Raiffeisen den „Flammersfelder Hülfsverein“ zur Unterstützung unbemittelter Landwirte, bei dem die Bauern Geld ansparen, oder zum Ankauf von Vieh und Gerät günstig leihen konnten. So half er der Landwirtschaft und verhinderte endlich die Verelendung der bäuerlichen Bevölkerung. (Raiffeisen handelte so übrigens aus seinem Glauben als evangelischer Christ.) Ein wenig Industrie bot dann im späten 19. Jh. auch mehr Arbeitsplätzte, künstliche Düngemittel steigerten die Bodenerträge, und die neuen Maschinen, die in der Landwirtschaft Einzug hielten, erleichterten die harte Feldarbeit schon deutlich.

Da, schauen Sie mal in Richtung Schlosskirche. Das ist die Friedenslinde von 1871. (Sie wissen schon: Deutsch-Französischer Krieg, Gründung des zweiten Deutschen Reiches durch Kanzler Bismark!) Die ist mittlerweile ein Riesending geworden. Ich seh ihr ja jeden Tag beim Wachsen zu. Nein, unterhalten kann ich mit ihr auch nicht. So ein Baum hat seine eigene Sprache. Man muss schon sehr alt werden und viel Geduld haben, wenn man die Sprache der Bäume verstehen will.

Ich stehe ja noch gar nicht so lange hier. Wie, das wussten Sie gar nicht? Dachten Sie etwa, ich steh hier schon seit Verleihung der Stadtrechte 1314 oder seit der Hochzeit der Familien Sayn und derer von Wittgenstein. So alt seh ich doch gar nicht aus, oder?! Nein, Alexander, der letzte Graf von Hachenburg, der hat mich der Stadt gestiftet - aber vergessen zu bezahlen, der alte Filou! Oder er war gerade mal wieder nicht bei Kasse. Also mussten mich die Hachenburger dann doch selbst bezahlen. Das war vor über 80 Jahren. Aber, sagen Sie selbst: stünde ich hier ohne Graf Alexander?

Der wurde übrigens 1847 in Paris geboren und ist 1940 in einem Wissener Krankenhaus gestorben. Hachenburg hatte zu der Zeit noch gar kein eigenes Krankenhaus. 93 Jahre alt ist er geworden. Er reiste viel in Europa umher und lebte in vollen Zügen, solange das Geld reichte. Meist lebte er über seine Verhältnisse. Aber er war doch ein liebenswertes Original, ein wenig kautzig im Alter – und er hatte viele Freunde und Bekannte in der Stadt. Je älter er wurde, desto mehr pflegte er das Erbe der Grafen von Sayn. Er ließ das Friedewalder Schloss wieder aufbauen und sorgte für die Einrichtung eines Heimatmuseums im Hachenburger Schloss, das der gute alte Ludwig Glaser bis ins hohe Alter umsorgte, der dann so schmählich in den Tod getrieben wurde.

Ja, es gibt in unserer Stadt auch Geschichten, die sind bitter. Vom 3. Reich will ich gar nicht erst anfangen, aber auch nachher passierten manchmal Sachen, da wäre ich am liebsten bestimmten Leuten von hier an den Hals gesprungen! Aber lassen wir das.

Wo war ich, ach ja: Der alte Graf Alexander, ich habe ihn ja oft hier auf dem Alten Markt gesehen, das war jedenfalls ein hochgewachsener Kerl, stets elegant gekleidet, eine Blume im Knopfloch, meist eine rote Nelke, schlohweiße Haare um eine spiegelnde Glatze auf seinem mächtigen Schädel, eine große, fleischige Haken-Nase, weißer Schnurrbart, blaue Augen unter buschigen Brauen. Er wanderte oft leutselig grüßend durch die Straßen, kannte alle, saß mit an den Stammtischen und war über Alles informiert. Er war auch ein eifriger Sammler alter Dinge, schrieb eine Chronik des Hauses von Sayn und konnte die Geschichte des gräflichen Hauses erzählen, als sei er selbst von Anfang an dabei gewesen. Jetzt hat ja die Frau Sayn ein schönes Buch über ihn geschrieben. Sollten Sie mal lesen!

Dass die Sayner die Grafschaft 1799 an die Nassauer vererbt hatten, hatte ich Ihnen doch schon erzählt, oder? Die Nassauer verloren zwar ihr Herzogtum 1866 an Preussen, erbten aber später das Großherzogtum Luxemburg. Damit regieren dort noch heute Nachkommen der Grafen von Sayn-Hachenburg. Das haben Sie doch bestimmt noch nicht gewusst, oder?

Die Hachenburger hatten jedenfalls mit dem Grafen Alexander noch mal eine Glücksfall erwischt, nämlich einen Fürsten, der volkstümlich und symphatisch war, viel Gutes tat und anregte. So ging eine siebenhundertjährige Geschichte des Hauses Sayn und der Stadt Hachenburg im 20. Jh. harmonisch zu Ende.

Oh, ich glaube, ich hab Ihnen noch gar nichts über unsere schöne barocke katholische Kirche (Maria Himmelfahrt) erzählt! Die ist stilistisch ganz anders, als die auf ihre Art ebenfalls sehr schöne typische Predigerkirche der Protestanten schräg gegenüber. Es war ursprünglich die Kirche eines Franziskanerklosters, deshalb auch der Mönch mit der braunen Kutte über dem Hauptportal. War der Ihnen noch gar nicht bewusst aufgefallen? Aber von der Krypta mit dem Totentanz haben Sie doch schon gehört? Die heute meist als Eingang benutzte Turmtür: das war mal der Eingang zum Kloster. Die Kirche selbst war so klein, im heutigen Chorraum, da war früher mal die Volksschule untergebracht. Als im späten 19. Jh. oft bis zu tausend Personen allein zum sonntäglichen Hochamt in die alte Klosterkirche kamen, platzte sie fast aus den Nähten.

Erst zwischen 1907 und 1909 erfolgte der Umbau zur heutigen Größe und zum heutigen Aussehen der Kirche. Auch der Glockenturm kam damals erst dazu! Ich meine: Das haben sie wirklich gut hinbekommen! Wenn ich das vergleiche mit manchem, was heutzutage gebaut wird - Du lieber Himmel! Übrigens: Pfarrer Erwin Krämer, der jetzt bald in Ruhestand geht, ist schon seit 1962 hier und hält damit den Rekord. Niemand war hier so lange katholischer Pfarrer wie er. Er ist auch sehr beliebt.

Wo ich eben die Volksschule erwähnte: schon im Mittelalter gab es hier eine Lateinschule. Seit der ersten Hälfte des 19. Jh. eine Volks- und eine Realschule, später kam das Gymnasium Marienstatt dazu. Dann die Waldarbeiterschule, die Hauptschule, die Sonderschule und die Fachhochschule der Deutschen Bundesbank. Wie schon gesagt, dass die kam war ein Segen, denn weder aus eigener Kraft noch mit Landesmitteln hätte man damals die Restauration und die Unterhaltung des riesigen Schlosskomplexes bestreiten können.

Ein ganz trauriges Kapitel ist die Geschichte der Hachenburger und Altstädter Juden. „Mitbürger: verfolgt, vertrieben, vernichtet“ – lesen Sie es mal auf dem Gedenkstein vor dem Rathaus und noch mal genau im Buch „Zachor“ von Johannes Kempf und Werner Güth, wie das in den dreißiger und vierziger Jahren hier war. In diesen Tagen scheinen Einige lieber schon wieder vergessen zu wollen, was noch vor 50 Jahren in Deutschland möglich war!

Nach dem Krieg, von dem Hachenburg ausnahmsweise mal deutlich weniger in Mitleidenschaft gezogen wurde als viele andere Kommunen, und nach der Besatzungszeit durch die die Amerikaner und dann die Franzosen (den ersten Weltkrieg und die arme Zeit danach lass ich mal weg) ging das sogenannte Wirtschaftswunder auch am Westerwald nicht spurlos vorüber. Dies bedeutete einen erfreulichen Wohlstand für Viele, leider aber auch manche Rücksichtslosigkeit gegenüber historischen Gebäuden und anderen Zeugnissen der Geschichte – und so manche bauliche Geschmacklosigkeit, weil den Menschen offenbar der Sinn für Stil und Geschmack verloren gegangen sind. Ja, immer geht auch etwas verloren beim sogenannten „Fortschritt“!

Die heute Unter-Dreißigjährigen können sich wohl kaum noch an die Villa Pickel mit ihrem schönen Garten erinnern (ein Verbrechen, sie einfach abzureißen!), an das Helenenstift oder an die Häuserzeile gegenüber vom „Dillephillip“?

Selbst die alten Hausnamen, der Dejs, Schmiesjens, der Näibauer und die vielen anderen, geraten langsam in Vergessenheit. Und bis vor ein paar Jahren tranken die Männer nach der Arbeit ihren „Sechsourens“, den „Sechsuhrschnaps“ – wissen Sie das noch? Auch das Ledererzeugungs- und Lederverarbeitungsunternehmen bis vor einigen Jahrzehnten die großen Arbeitgeber der Stadt waren (gut das ich nix rieche!), dass Hachenburg lange Zeit so um die dreitausend, statt wie heute, ca. fünftausend Einwohner hatte, wo die Gleise der Kleinbahn verliefen, dass die Schulausflüge Anfang des Jahrhunderts gerade mal in die Kroppacher Schweiz oder zum Katzenstein bei Westerburg gingen statt nach Berlin oder London – und dass dann mit der Bahn nach Hause gefahren wurde – wer erinnert sich noch daran?

Ach, ich könnte Ihnen noch viel erzählen, aber dafür ist es doch ein bisschen zu kalt. Trinken Sie vielleicht einen Glühwein und schauen Sie sich noch ein bisschen um, in unserem schönen alten Städtchen. Sie können noch viel selbst entdecken!

Noch ein Letztes. Da Sie mir immer so gern Gesellschaft geleistet und zugehört haben, darf ich am Schluss ein klein wenig philosophisch werden. Ich habe nämlich den Eindruck, viele Menschen bedenken zu wenig, was wirklich wertvoll ist in ihrem Leben. Was es schön macht und lebenswert. Und sie reißen mit dem Hintern wieder ein, was andere oder sogar sie selbst mühsam aufgebaut, gehegt und gepflegt haben. Das zeigt mir ihr Verhalten gegenüber der Natur, gegenüber den kulturellen Errungenschaften, und das zeigt sich für mich darin, wie wenig sie bereit sind, ihre Kräfte für ein gutes Miteinander einzusetzen statt für ein kurzsichtig für wichtiger gehaltenes Ziel.

Frieden und Wohlstand, Gesundheit und Glück sind nicht selbstverständlich. Jeder trägt auch ein Stück Verantwortung dafür. Ich als „Denk-mal“ darf vielleicht einmal daran erinnern.

Frohe Weihnachten!

Der Löwe erzählt, erschienen in „Hachenburger Löwe“, Nr. 30.6., 20.10. und 6.12.1993, Copyright © beim Autor

 

 

 

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